Rein formal erinnerte uns der Busse Design Rohling
auf den ersten Blick einfach nur an einen CAD-Spatz,
da seine abstrahierte Formensprache offensichtlich
digitaler Herkunft war. Künstlerisch betrachtet war
für uns eigentlich nichts mehr zu tun, denn Busse
Design hatte ja schon einen skulptural-interpre-
tativen Akt vollzogen, der die Wahl der Konstruktions-
mittel und des Materials bereits mit einbezogen hatte.
Der digitale Aspekt des Rohlings erschien uns als
guter Ausgangspunkt für unsere Arbeit.
Auf den zweiten Blick erinnerte uns die Form des
Rohlings an einen Buddha, der als höchste Gottheit
des Buddhismus verehrt wird. Der irdische Vertreter
Buddhas ist zur Zeit der XIV. Dalai Lama, dessen
religiöser und politischer Sitz sich in Lhasa,
Tibet befand. Nach der Besetzung Tibets 1954 durch
China, versuchte der Dalai Lama noch fünf
Jahre lang vergeblich von Lhasa aus eine friedliche
Lösung des China-Tibet Konflikts zu erwirken, musste
aber letztendlich1960 Indien um politisches Asyl
bitten. Seitdem führt er die tibetische Regierung von
seinem Exil in Daramsala.
Das buddhistische Tibet, das sich im westlichen
Bewusstsein zu einem Ort der Hoffnung auf Erleuchtung
entwickelt hat, der für viele das letzte Paradies auf
Erden darstellt, haben wir mit den digitalen Utopien der
westlichen Welt kombiniert.
Der Einzug des Computers in fast jeden privaten
als auch in den öffentlichen Bereich der
westlichen Welt, zeugt von einer mit ihm
verknüpften Hoffnung.
Hinter dem vordergründig pragmatischen Nutzen,
wie marktwirtschaftliche Effizienzsteigerung oder
generelle Erleichterung des Lebens bzw. der
Lebensorganisation von Gesellschaft, verbirgt sich
unserer Meinung nach die Suche nach einer
digitalen Heilslehre.
Versteht man den Computer als Hoffnungsträger,
kann das Digitale als dazugehörige Heilslehre
betrachtet werden.
Zukunftsutopien, in deren Mittelpunkt das Digitale
steht, kommen der christlichen Vorstellung des
Himmels sehr nah. Sie zielen auf telepathische
Allwissenheit und virtuelle Unsterblichkeit.
Die Idee eines "global-brain", in dem sich
menschliche Bewusstseine zu einem weltumspannenden
"Super-Gehirn" vernetzen, wurde schon zu Anfang
unseres Jahrhunderts von dem Jesuiten Teilhard
de Chardin unter dem Begriff der "Noosphäre"
skizziert. Auch er ging davon aus, dass die gottgleiche
Allwissenheit, die er im Omegapunkt vermutete,
für die Menschheit nicht ohne "Elektronen-
automaten" zu erreichen sei.
Die virtuelle Unsterblichkeit wird seit den Anfängen
der Computertechnologie von Wissenschaftlern wie
Marvin Minsky (Massachussets, Institut of Technology),
Hans Moravec (KI Forscher und Schriftsteller) und
Oswald Wiener (Romanautor und Philosoph) unter
dem Fachbegriff Artificial Intelligence
(Künstliche Intelligenz) erforscht, die z.B. durch
die Verpflanzung des menschlichen Geistes vom
biologischen Gehirn in eine elektronische Hardware
erreicht werden und zur letztendlichen Überwindung
des Körpers führen soll.
Das Eingehen in das Nirwana als Erlösung aus dem
Leiden, der Not und der Bedrängnis, steht dem Eintreten
in das Paradies des Christentums in nichts nach, hat aber
einen anderen Effekt. Während der Buddhist, der den
Schritt aus der Reinkarnationskette geschafft hat, im
Nirwana seiner Bedürfnisse nicht mehr bedarf, wird
es dem Christen im himmlischen Paradies an nichts
mangeln, seine Bedürfnisse werden auf ewig gestillt.
Will der Buddhismus den Menschen vom Zeitjoch
befreien, in dem seine Übungen darauf hinzielen
eine zeittranszendente Gegenwart herzustellen,
stehen westliche Mentalitäten in der Tradition,
die einmalig verliehene Lebenszeit auszuschöpfen,
sie zu strukturieren und zu rationalisieren. um die
Welt zum Besseren zu wenden.
Unser Digital - Buddha - Spatz vereint beide Ansätze
in sich.
Das Programm auf dem Bauchmonitor:
10 PRINT"Om Mani Padme Hum ";
20 GOTO 10
Dieses einfache Programm ist in der Computersprache
Basic verfasst und bewirkt, dass der Rechner, der dieses
Programm ausführt, in einem fort das Gebetsmantra
"Om Mani Padme Hum" Zeile für Zeile auf seinem
Bildschirm ausgibt. Er betet also permanent, sobald das
Programm ausgeführt wird. Dies kommt wiederum
den tibetischen Gebetsmühlen gleich, die an einigen
Orten im Himalaja in Form von Wasserrädern
vorkommen. Eine Trommel, auf der zumeist das Om Mani
Padme Hum kunstvoll aufgemalt ist, dreht sich durch die
Kraft eines Gebirgsbaches unaufhörlich. In ihrem
Innern befindet sich eine riesige Schriftrolle, auf der
viele tausend Mal das Om Mani Padme Hum geschrieben
steht, das mit jeder Umdrehung der Trommel eben so
oft "automatisch" gebetet wird.*
In unserem Spatz, der zur Rettung einer Glaubens-
stätte der christlichen Welt aufgestellt wird, treffen
fernöstliche und moderne, westliche Heilsansätze
zusammen. Wir möchten dem Ulmer Münster mit
dem BUDDHA -SPATZ IN DER DIGITALEN MEDITATION
einen Beistand hin stellen, der seine Heilung
tatkräftig unterstützt.
Ob Busse Design mit der Annahme des Ulmer Spatzen-
auftrags klar war, dass sie eine Heilslehre
unterstützen, oder ob sie das Digitale sogar
zur kritischen Disposition stellen wollten, kann
offen bleiben. Da Busse Design aber die
CAD-Daten für den Ulmer Kunstspatz bestimmt
archiviert und ihn somit in die körperlose
Existenz des Virtuellen transzendiert, könnte man
annehmen, daß Busse Design auf der Suche nach
der Unsterblichkeit und der Überwindung
des Irdischen ist.
Uns hat die Arbeit an diesem Ulmer Happening
viel Spaß gemacht, und wir hoffen,
dass unser Digitaler Buddha Spatz den Ulmern
viel Freude bereitet.
* der 14. Dalai Lama Tenzin Gyatso hat vor kurzem
seine Erörterungen über das Om Mani Padme Hum,
wie folgt zusammengefasst:
"Thus the six syllables, Om Mani Padme Hum, mean
that in dependence on the practice which is in
indivisible union of method and wisdom, you can
transform your impure body, speech and mind into
the pure body, speech and mind of a buddha."
Wie man sieht, ist die Bedeutung dieses Gebets nur
sehr schwer zu beschreiben, deshalb verweisen wir
hier auf eine Internet Seite, die ein wenig Aufklärung
verschafft:
www.dharma-haven.org
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